Über mich

Ich bin immer auf der Suche nach Literatur, die jungen Menschen Lust auf's Lesen macht!

Dienstag, 13. Mai 2014

Die chinesische Sängerin


Jamie Ford, Bloomsbury 2014

 
Quelle: www.berlinverlag.de
Vorsicht, manche könnten diese Rezension als Spoiler auffassen! Die wenigen Angaben, die gemacht werden, sind jedoch meiner Ansicht nach notwendig, um den Charakter des Romans zu beschreiben.

William Eng lebt in einem Waisenhaus im Seattle der 30er Jahre.  Manche der Kinder werden adoptiert, andere - wie den asiatischen Jungen William - will niemand aufnehmen. Es ist die Zeit der Wirtschaftskrise, Rassendiskriminierung ist an der Tagesordnung. In den Kinos und Theatern treten jedoch bereits auch Schwarze auf - und die Asiatin Willow Frost.
Eben diese sieht William, als er mit den anderen Jungen des Waisenhauses einen Film ansehen darf, und ist überzeugt, dass es sich bei der Schauspielerin um seine Mutter handelt. Das Wissen, dass seine Mutter längst tot ist, kann ihn von dieser fixen Idee nicht abbringen. Gemeinsam mit seiner blinden Freundin Charlotte nimmt er heimlich Reißaus, um seine vermeintliche Mutter, die mit einer Künstlergruppe gerade in der Stadt gastiert, zu finden.

***************************************************************************************************************

Bei einem Zusammentreffen am Bühnenausgang stellt sich - für mich etwas unerwartet - heraus, dass es sich bei der Schauspielerin Willow Frost tatsächlich um Williams Mutter handelt.
Nachdem ich Klappentext und Leseprobe gelesen hatte, erwartete ich mir eine Geschichte à la "Gottes Werk und Teufels Beitrag", in der ein Waisenjunge loszieht, um die Welt kennen zu lernen. Doch mit dem Auftritt der Mutter nimmt der Roman eine jähe Wende: Jamie Ford springt in die beginnenden 20er Jahre zurück und erzählt das Leben von Liu Song Eng, dem Mädchen, aus dem einmal die große Schauspielerin werden soll. Es ist eine Leidensgeschichte, die Liu Song durchläuft, ein Schicksalsschlag folgt dem anderen. Als Leser fragt man sich unweigerlich, wie viel Unglück einem Menschen noch geschehen kann.

Obwohl ich mich auf eine Jungengeschichte gefreut hatte, war die Lektüre von "Die chinesische Sängerin" keine Enttäuschung. Jamie Ford schafft es, geschichtliche und gesellschaftspolitische Inputs in seinen Roman einfließen zu lassen, ohne dass man als Leser den Eindruck gewinnt, vom Autor belehrt zu werden (ein Umstand, den ich übrigens beim Lesen gar nicht mag). Gleichzeitig lässt er genügend Lücken, die von Leser zu füllen sind, sodass man sich gedanklich mit der Handlung auseinandersetzen muss/kann.

Im Voraus habe ich mir gedacht: "Hurra! Kein typisches 'Frauenbuch'!". Nun bin ich mir nicht sicher, ob die Tatsache, dass es vornehmlich um Liu Song und ihre Transformation zu Willow geht, den Roman zu einem "Frauenbuch" macht oder nicht. Nimmt man die weibliche Hauptfigur sowie die Möglichkeit der Identifikation mit dieser als Kriterium, dann muss diese Frage wohl mit Ja beantwortet werden. Was Jamie Fords Roman in keinem Fall ist: Ein bla-bla-Buch, das man halb konzentriert liest, während der Mann Fußball schaut, weil es einen im Grunde kalt lässt. "Die chinesische Sängerin" berührt. Im Innersten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen